Die Fünfte Vollversammlung des Synodalen Weges vom 9. bis 11. März 2023, ihr Umfeld und ihre zu vermutenden Folgen werden für die katholische Kirche in Deutschland zu einer historischen Zäsur führen. Danach wird die Kirche nicht mehr sein, was sie zuvor war.

 

Erinnern wir uns: Der Ad-Limina-Besuch der Deutschen Bischofskonferenz in Rom lag ganz auf der Linie der römischen Weisung vom 22. Juli 2022. „Der ‚Synodale Weg‘ in Deutschland ist nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten.“ Die inhaltliche Kritik an praktisch allen wichtigen Punkten des Programms des Synodalen Weges fiel vernichtend aus. Die drohende Gefahr einer Spaltung wurde in schnörkelloser Klarheit benannt. Die deutschen Bischöfe wurden mit dem ultimativen Anforderungsprofil einer „Kirche in der Einheit“ nach Hause entlassen, in dem man ihnen den Weg aufzeigte, wie lokalkirchliche Anregungen in den Erneuerungsprozess der Universalkirche eingespeist werden können.

Kaum aus Rom zurückgekehrt, unterminierten Bischof Bätzing und andere das klare Nein aus Rom durch eigene Interpretation. Man tat so, als ob man den bisher verfolgten Weg einfach weitergehen könne. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte nicht einmal den Ansatz einer Bereitschaft, die römischen Bedenken ernst zu nehmen. Stattdessen wiederholt man immer wieder – verbunden mit schon staunenswerter Wirklichkeitsverleugnung -, es sei ja aus Rom kein Stoppschild gesetzt worden!

Zur praktischen Umsetzung der Abtretung bischöflicher Hirtenverantwortung (wohlgemerkt: im Kernbereich ihres Amtes!) zugunsten neuer und paritätisch mit Laien besetzter Gremien mit Entscheidungskompetenz, verlautbarte man schon längere Zeit, dass das Instrument bischöflicher „Selbstbindung“ es ohne weiteres möglich mache, die geplante Umverteilung der Macht kirchenrechtskonform zu gestalten.

Dies führte zuletzt in einem römischen Schreiben vom 16. Januar 2022 zu einem expliziten Verbot solcher Planspiele durch die Kardinäle Parolin, Ladaria und Ouellet. „In forma specifica“, also mit ausdrücklicher Zustimmung von Papst Franziskus, wurde festgestellt: „dass weder der Synodale Weg noch ein von ihm eingesetztes Organ noch eine Bischofskonferenz die Kompetenz haben, den ,Synodalen Rat‘ auf nationaler, diözesaner oder pfarrlicher Ebene einzurichten“. Bischof Bätzing attackierte daraufhin sogar öffentlich den Papst.

Die führende theologische Autorität in Fragen der „Lehre von der Kirche“ (Ekklesiologie), der 89-jährige Kardinal Walter Kasper, war über die Zuspitzung der Auseinandersetzung so schockiert, dass er die Öffentlichkeit und seine Mitbrüder im Bischofsamt am 26. Januar 2023 wissen ließ: „Die Theorie vom Selbstverzicht der Bischöfe ist in Wahrheit eine unredliche und in sich widersprüchliche Trickserei. Der Widerstand gegen das römische Schreiben oder seine trickreiche Umdeutung und Umgehung führen entgegen allen gut gemeinten Beteuerungen unausweichlich an den Rand eines Schismas und stürzen das Volk Gottes in Deutschland damit in eine noch tiefere Krise.“

Führt Georg Bätzing die katholische Kirche in Deutschland ins Schisma? Stand heute, gibt es nicht mehr vier Szenarien für die Zukunft der Kirche in Deutschland, sondern nur noch drei, da das Kernanliegen des Synodalen Weges – die plebiszitäre Umgestaltung der Kirche – gescheitert ist, und damit auch ein Szenario, in dem es denkbar wäre, dass die Universalkirche auf Sicht einem deutschen Avantgarde-Konzept folgen würde.

Es muss die Plausibilität von drei derzeit denkbaren Szenarien überprüft werden:

 

Szenario 1: Ein Weg der Versöhnung

  • Rom agiert entschlossen und ultimativ fordernd.
  • Der „Synodale Weg“ wendet das konkret am Horizont erscheinende Schisma in letzter Sekunde ab.
  • Durch einen eigenen Bekenntnisakt unterstellt sich die katholische Kirche in Deutschland wieder der Universalkirche
  • Die in Systemzwängen gefangenen Bischöfe befreien sich aus der umklammernden Macht der Gremien. Sie nehmen ihr in Schrift und Tradition begründetes Amt in Vollmacht wie im synodalen Hören auf das Volk Gottes wahr und agieren als furchtlose Hirten.
  • Sie setzen alle gegen gemeinsame Lehre und universalkirchliches Recht gerichteten Beschlüsse des Synodalen Weges außer Kraft.
  • Es werden nur noch Vorschläge in den weltweiten Synodalen Prozess eingebracht, die mit der Schrift und der kontinuierlichen Lehre der Kirche kompatibel sind.
  • Alle Beteiligten begeben sich auf einen Weg der Versöhnung.
  • Die Kirche vollzieht einen Schwerpunktwechsel: statt Strukturen neu zu justieren, wendet man sich „pastoraler Bekehrung“ und Neuevangelisierung zu.

 

Kirchenrechtlich mögliche Optionen:

Was könnte geschehen, damit die Kirche in Deutschland wieder in die vom Herrn so dringend (Joh 17,21) geforderte Einheit umkehrt?

  • Zur Unterscheidung der Geister könnte Rom ein Glaubensbekenntnis und eine Treueformel einfordern von allen, die in Hirten- und Lehrverantwortung stehen.
  • Rom könnte einen von außen kommenden Apostolischen Administrator mit weitreichenden Vollmachten einsetzen.
  • Rom könnte eine Generalvisitation der Bistümer und ihrer überdiözesanen Einrichtungen und Werke anordnen und alle laufenden Prozesse aussetzen.
  • Rom könnte zum „chilenischen Modell“ greifen – alle Bischöfe de facto absetzen und so lange an der Ausübung ihres Amtes hindern, solange sie nicht wieder von Rom eingesetzt werden.
  • Rom könnte einen extern moderierten, mehrjährigen Weg der Versöhnung auf den Weg bringen.

Positive Potenziale dieses Szenarios:

Die Wiedervereinigung einer in der Realität schon lange gespaltenen Kirche könnte der wahre Beweis ihrer Vitalität sein. Vergleichbar mit dem Trienter Konzil könnte es sukzessiv zu einer Wende kommen, in der unter Schmerzen eine neue Gestalt der Kirche geboren wird.

Eine wirklich synodal und spirituell agierende Kirche könnte wie der Hausvater im Evangelium „aus seinem Schatz Neues und Altes“ hervorholen (Mt 13,52). So würde der „graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags, bei dem scheinbar alles mit rechten Dingen zugeht, in Wirklichkeit aber der Glaube verbraucht wird und ins Schäbige absinkt“ (Evangelii Gaudium 83) ebenso von der Kirche abfallen, wie die Schlacken der Konvention, mit denen die Alten belastet sind und vor denen die Jungen zurückschrecken.

Katechese auf allen Ebenen könnte eine allgemeine Vertiefung des Glaubens einleiten, die junge Menschen fordert und suchende Menschen anzieht. Es würde voraussetzen, dass auch alle pastoralen Mitarbeiter (und mit ihnen alle Gläubigen) an der Integration in den Leib Christi und den Glauben der Kirche arbeiten. Wo es existenzielle Prozesse der „Jüngerschaft“ geben müsste, um die neuen Dynamiken kirchlichen Wachstums freizusetzen, würden bloße „Umschulungen“ oder gar Anordnungen an Mitarbeiter nichts ausrichten.

Auf diözesaner Ebene würde die neue Akzentverschiebung eine Entbürokratisierung und einen Abbau der Apparate bedeuten – ein radikales Verschlanken der Kirche auf ihre eigentliche Mission hin. Die Gläubigen würden die Freude am Evangelium neu entdecken und zu einem vertieften sakramentalen Leben kommen. Man könnte hoffen, dass geistliche Berufungen wachsen. Womöglich würde es auch zu mehr geheilten Familien führen (denn wo Bekehrung des Einzelnen ist, da verändert sich das Umfeld).

In diesem Szenario erst hätte das Prinzip der Synodalität nach Papst Franziskus eine Chance, im deutschsprachigen Raum Fuß zu fassen. Erst im Rahmen dieser Erneuerung aus den Quellen des Glaubens könnte man aufrichtig von einem „sensus fidei fidelium“ sprechen sowie von einer hörenden Kirche.

Hürden für dieses Szenario:

Die Bischöfe müssten den von ihnen ausgehenden radikalen Kurswechsel vor aufgebrachten Laien und kirchlichen sowie säkularen Medien verteidigen, wozu ihnen die Kraft zu fehlen scheint. Der strukturell herrschende „Mittelbau“ angestellter Laien in der Kirche würde zudem aller Voraussicht nach rebellieren.

Das ZdK würde die Versöhnung nicht als solche, sondern als Entmachtung und Niederlage im Kampf um die Verfahrensmacht empfinden und als Scheitern ihrer Vorstellung eines „Synodalen Weges“; man würde von einer antidemokratischen Re-Hierarchisierung sprechen. Das Gremium würde befürchten, dass ihm die (Kirchensteuer-) Geldmittel entzogen werden wie auch die von ihnen derzeit beanspruchte Legitimation, für „die Laien“ zu sprechen.

Die öffentlichen Auseinandersetzungen könnten zu einem Massenaustritt von „Struktur-Katholiken“ kommen, die auch bisher schon als Getaufte ohne große Bindung nur noch „auf dem Papier“ Mitglieder waren, die nur eine unanstößige, zeitgeistig kompatible Betreuungskirche für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen wollen und sich Reformen in der Tiefe verschließen.

Das tatsächlich mutige Agieren der Katholischen Kirche und ihrer Bischöfe in diesem Szenario würde öffentlich als feiges Einknicken vor Rom umgedeutet. Die Kirche würde ihren gesellschaftlichen Status komplett einbüßen: Sie würde möglicherweise ihren staatlichen Rückhalt, ihre ökonomische Basis, die universitären Fakultäten und viele ihrer Privilegien verlieren. Sie würde ärmer, machtloser, ungeschützter sein und sich im Extremfall zu einer verfolgten religiösen Minderheit entwickeln. 

 

BEWERTUNG

Nach heutigem Stand ist Szenario 1 die unwahrscheinlichste Option.

Die Option wäre vom Evangelium her geboten. Sie wäre einheitsrettend, aber nicht mehrheitsfähig und angesichts der sichtbaren menschlichen Verhärtungen illusorisch, da sie eine 180-Grad-Wende aller Protagonisten voraussetzen würde. Rom müsste zudem diese Kehrtwende mit höchster Entschiedenheit einfordern und begleiten.

 


Szenario 2: Ein schmutziges Schisma

 

  • Der Synodale Weg verabschiedet wie geplant und unbeirrt alle Papiere, ohne auf die römischen Einwände inhaltlich einzugehen.
  • Der Synodale Weg bereitet unbeirrt der Weisung aus Rom vom 16. Januar 2023 die Installation eines Synodalen Rates vor unter der Behauptung, kein Kirchenrecht zu brechen und institutionalisiert ein dauerhaftes Gremium mit kaum durchschaubaren Kompetenzen.
  • Man beruft sich bei Kritik darauf, kirchenrechtlich konform und ohne Bindung und Verpflichtung der Bischöfe zu agieren, um ein Schisma unausgesprochen zu lassen. Die Beschlüsse werden dennoch im Zuge von „freiwilligen Selbstbindungen“ einzelner Bischöfe in ihren Diözesen umgesetzt.
  • Rom behält weiterhin das Heft in der Hand, erkennt aber nicht deutlich genug die schismatische Brisanz der Ereignisse und setzt geltende Lehre und Recht nicht mit der nötigen Stärke auch faktisch durch.
  • Die Mehrheit der Bischöfe ignoriert weiterhin ganz oder partiell die römischen Vorgaben; man besteht auf einem deutschen Sonderweg in Struktur, Lehre und Moral. Bischöfe weigern sich in der Praxis, Korrekturen an bereits erfolgten Strukturveränderungen vorzunehmen. Sie unterminieren durchgängig die bindende Kraft universalkirchlicher Lehre und Weisung in Fragen der Kirchenverfassung und der christlichen Anthropologie.
  • Die gemeinsame Lehre der universalen Kirche wird ersetzt durch plurale Meinungen von Laien und Bischöfen über religiöse Gegenstände. Im gleichen Maße wie eine universalkirchliche Disziplin ausgehöhlt wird, wird sie binnenkirchlich aufgerichtet und plebiszitär/totalitär durchgesetzt.
    Faktisch entstehen zwei im Streit koexistierende Machtzentren und Lehrämter: das (in eine Minderheiten-Existenz gezwungene) römisch-katholische, und das sehr präsente Leitungs- und Lehramt des „Synodalen Weges“, das von säkularen und kirchlichen Medien zudem forciert wird. Die „pax christiana“ in Deutschland ist damit zu Ende, da keine Person und keine kirchliche Einrichtung Dienerin zweier Herren sein kann.Negative Folgen dieses Szenarios: 
  • Priester und Bischöfe, die mit der Universalkirche verbunden bleiben wollen, sowie Ordensmitglieder, deren Leitung den schismatischen Weg wählt, geraten in eine existenzielle Falle, sofern ihnen Rom keine alternative Anlaufstelle bietet und sie mit ihrer Entscheidung, römisch-katholisch zu bleiben, alleine lässt.
    Sie haben faktisch keine Option, die schismatische, deutsche Struktur zu verlassen, ohne in eigene finanziell existenzielle Bedrohung zu geraten. Kritik an der progressiven deutschen Linie wird sanktioniert (evtl. sogar mit staatlicher Beihilfe, etwa durch Sanktionierungen staatlicher Antidiskriminierungsstellen). Medialer Druck, Spitzelsysteme und Säuberungsaktionen sorgen dafür, dass nur noch Linientreue in verantwortliche Positionen kommen – ganz so, wie es der Synodale Weg in seinen Beschlüssen einfordert.
  • Durch das ambivalente Verhalten ihrer Bischöfe werden Verkündiger, Laien im kirchlichen Dienst, Kleriker und Ordensleute gezwungen, die faktische Verfahrensmacht des „Synodalen Weges“ anzuerkennen: Die normative Kraft der Beschlüsse des Synodalen Weges, das neue kirchliche Arbeitsrecht (das bereits von 21 Diözesen bestätigt wurde) und öffentliche Proteste machen es ihnen unmöglich, in den Gemeinden, im Religions-Unterricht etc. kirchlich zu handeln und kirchlich nach Schrift und Tradition zu lehren. Man zwingt sie, falscher Lehre zu folgen.
  • Gläubigen Mitarbeitern nötigt die Treue zur „Lehre“ einen hohen existenziellen Preis ab. Sie müssen ihre Arbeitsplätze und eventuell sogar ihre Wohnorte verlassen, um noch eine Anbindung an römisch-katholische Gemeinden und Strukturen zu finden. Der kirchliche Dienst ist für gläubige Katholiken keine Option mehr. Berufungen finden keinen Ort der Hingabe mehr. Diejenigen, die in freier Loyalität sind (d.h. nicht im kirchlichen Dienst oder in Leitungsfunktionen katholischer Gemeinschaften etc. stehen), verlieren ihr Vertrauen in die Institution und sind am Ende versucht, eine Art „Untergrundkirche“ bilden.
  • Der innerkirchliche Spaltungsprozess eskaliert; es kommt zu Personalgemeinden, sektiererischen Konventikeln und esoterischen Gemeindebildungen. Die Kirche ist kein sicherer Ort, keine wohltuende „Heimat“ mehr. Menschen wenden sich von bestimmten Bischöfen ab, anderen zu. Gemeinden zerfallen in Parteien. Gläubige ziehen aus ihren Gemeinden aus; sie meiden bestimmte Priester und suchen sich solche, die sie für „richtig“ halten. Einige suchen sich Sakramente, Katechese, spirituelles Leben auf inoffiziellen Wegen und über persönliche Beziehungen. Viele verlassen die Kirche ganz; andere emigrieren innerlich; sie bleiben aus Strukturzwang in der Gemeinde vor Ort und berauben sich damit der Möglichkeit, überhaupt noch in einer integralen Gestalt katholischen Glaubens zu leben. Familien werden immer tiefer gespalten. Fakultäten verstehen sich als Kaderschmieden feindlicher Lager. Es kommt zu einem frommen „Bürgerkrieg“ mit ungleicher Machtverteilung, zu einer unübersehbaren Folge von zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen und direkten Konfrontationen. Viele bestehende Bindungen und Freundschaften überstehen das nicht.
  • Die gespaltene Kirche ist eine Kirche ohne Mission. Evangelisierende Einladungen in ein Leben mit der Kirche sind angesichts anhaltender Verwerfungen unmöglich. Der Abwärtstrend ist nicht aufzuhalten. Die Kirche verrät noch einmal die schon heute verlorenen Generationen junger Menschen.
  • Der „Synodale Weg“ benutzt die Weltsynode, um ihre nicht weiter modifizierten Positionen auch weltkirchlich zu bewerben.
  • Die deutsche Kirchensteuer kommt gleich von zwei Seiten unter Druck: Die Liberalen treten aus und verweigern ihre zahlende Mitgliedschaft in der Körperschaft öffentlichen Rechts, weil ihnen die geforderten „Reformen“ nicht weit genug gehen und aus ihrer Sicht scheinbar autoritär vorenthalten werden. Die römisch orientierten Katholiken verweigern sich ökonomisch wegen einem vermuteten schismatischen Ungehorsam der Bischöfe.
  • Die katholische Kirche kopiert und institutionalisiert das gescheiterte Kirchenkonzept der evangelischen Landeskirche: eine von Funktionären betriebene, vom gesellschaftlichen Mainstream geprägte und deshalb konturlose Nichtregierungsorganisation der „Guten“ ohne Verkündigung, dafür mit politischem Programm – und sie beschreitet exakt den Weg der Niederländer in den 70er Jahren, der zum flächendeckenden Abbruch kirchlichen Lebens führte. Die „Gestalt“ der Kirche zerfällt komplett; niemand kann mehr sagen, was das ist. Die Relevanz der Institution sinkt ins Bodenlose.
  • Immer mehr Menschen wenden sich nicht nur von der Kirche, sondern im Endeffekt von Gott ab.

 

Szenario 2 hat auch für Rom und die Weltkirche negative Folgen:

Die Krankheit im deutschen Teil des Leibes Christi wird sich wie ein Abszess entlang anatomischer Spalträume auf die Kirche ausbreiten, bis daraus eine systemische Erkrankung der Gesamtkirche wird.
Rom (und das „Dienstamt an der Einheit“) verliert weiter an Autorität, weil sich die über Jahrzehnte hinziehende Entfremdung von der Universalkirche (Höhepunkt nun: der „Synodale Weg“) nicht angemessen beantwortet wird. Immer mehr Diözesen implantieren nachweisbare Irrlehren unter dem Deckmantel der Katholizität bis in die entferntesten Winkel ihrer Struktur hinein. Man missversteht die Geduld Roms als Einladung, das Falsche zu lehren, im Falschen auszubilden, und das Falsche unverblümt und medienwirksam zu verbreiten. Konsequenzen sind ja nicht zu befürchten. Es wächst eine Generation von Gläubigen heran, denen das Wahre gar nicht mehr verkündet wird und die zudem das Falsche für die Wahrheit halten.

Positive Folge des 2. Szenarios

Diese Option wird das Ende der derzeit fruchtlosen Konsumenten-Kirche mit betreuten Mitgliedern einleiten und die Subjektwerdung der Gläubigen aktiv fördern.

Wer sub Petro et cum Petro nach Jesus sucht, wird im Zerfall der äußerlichen Kirchengestalt die Handschrift Gottes und eine geistliche Herausforderung erkennen: Nachdem ihm die Krücken einer passiven Consumer-Haltung und einer konventionellen, routinierten Gläubigkeit weggeschlagen wurden, wird der einzelne Christ seine „Holschuld“ und seine Verantwortung im Leib Christi erkennen.

Katholisch sein wird bedeuten: aus Entscheidung katholisch sein und sich auf den Weg „missionarischer Jüngerschaft“ (Evangelii Gaudium) zu begeben. Es werden starke, kleine Gemeinschaften und Gruppen entstehen, die allerdings möglicherweise auf Jahrzehnte eine Art Untergrunddasein an den Rändern einer in mancher Hinsicht korrupten und ungehorsamen Institution führen müssen. Der selbstzerstörerische Prozess wird die Vernetzung Gleichgesinnter vorantreiben und aus den Trümmern in eine neue Intensität von Kirche und Glaube führen.

 

BEWERTUNG

 Szenario 2 ist zugleich die wahrscheinlichste wie die denkbar schlimmste Option – wenn Rom nicht konsequent handelt.
Szenario 2 schreibt die real existierende Spaltung der Katholischen Kirche in Deutschland fest und ist der sicherste Weg, ihr institutionelles Ende herbeizuführen. Szenario 2 ist zugleich ein Verrat an Evangelium und an den Gläubigen, denen die Kirche selbst den Weg zu Jesus und zum Heil verbaut. Deshalb muss dieses Szenario unter allen Umständen verhindert werden.

 


 

 Szenario 3: Das formal festgestellte Schisma

 

Das formal von Rom festgestellte Schisma einer Teilkirche vom Kirchenganzen ist eine radikale Maßnahme, zu der nur im äußersten Notfall gegriffen werden darf. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der innere Zerfall einer Ortskirche anders nicht mehr aufzuhalten ist als durch einen klärenden Schnitt, durch den festgestellt wird, wer noch zur katholischen Kirche gehört und wer sie in Lehre und Praxis verlassen hat.

Der Ablauf und die Folgen sind einschneidend:

  • Rom fordert ultimativ die Einheit in Lehre und Kirchendisziplin – nach allen seither ergangenen Maßgaben durch den Papst und die Kurie.
  • Die Bischöfe verweigern sich mehrheitlich den römischen Vorgaben; sie bestehen auf einem deutschen Sonderweg und vertreten diese Position offensiv gegenüber dem Petrusamt.
  • Rom reagiert gemäß Kirchenrecht und Konkordat durch klare und eindeutige Maßnahmen. Der Papst und seine Mitarbeiter setzen alle doktrinären und kirchenrechtlichen Mittel ein, um die Einheit der Kirche zu erhalten oder wiederherzustellen.
  • Reagiert die Kirche in Deutschland nicht angemessen, stellt der Papst das Schisma nach can. 751 fest. Das qua Kirchenrecht festgestellte Schisma hat Folgen hinsichtlich der Konkordate und vollzieht sich auf mehreren Ebenen. In jedem Fall geht es strukturell eher um die Bischöfe, als um die eigentlichen Verantwortlichen und Beteiligten.
  • Dieses nun auch kirchenrechtlich festgestellte Schisma führt zu einer Trennung des rechtgläubigen, mit Rom verbundenen Teils der Ortskirche von den „Schismatikern“, die faktisch eine eigene, nicht mehr katholische Gruppe darstellen und frei sind, sich neu zu organisieren.
  • Die Spaltung ist vollendet. Gläubige Katholiken kommen „heim nach Rom“; einige werden sich außerkatholisch, „anderskatholisch“ oder als Nationalkirche formieren; viele werden ganz „gehen“ – weg von jeder Form kirchlichen oder christlichen Engagements.
  • Das Schisma führt heraus aus der Grauzone der Unbestimmtheit. Unter dramatischen Verlusten an menschlicher und inhaltlicher Substanz tritt das „Bekenntnis“ als Kern kirchlicher Identität hervor. Hier ist also ein außerordentlich schmerzhafter Vorgang untrennbar mit einem positiven Aspekt verbunden: Von jedem einzelnen Bischof, jedem pastoralen Mitarbeiter, jedem Lehrer des Glaubens, ja von allen Gläubigen wird „Bekenntnis“ eingefordert.
  • Kommt es zum „chilenischen Modell“, sind die Bischöfe unmittelbar betroffen. Rom setzt die schismatischen Bischöfe ab (oder setzt alle Bischöfe ab), um danach bestimmte, rechtgläubige Bischöfe wieder einzusetzen oder neue, mit Rom verbundene Bischöfe einzusetzen. Rom exkommuniziert die schismatischen Bischöfe, sofern sie sich nicht im Gehorsam unterwerfen. Mit der Absetzung oder der Feststellung des Schismas erlischt auch ihr Hirtenamt. Gläubige, die ihnen trotzdem folgen, folgen ihnen in die Exkommunikation.
  • Unterhalb der unmittelbaren Regelung auf der Bischofsebene könnte danach eine Dynamik greifen, die die Diözesen als ganze erfasst: Bistum für Bistum muss sich entscheiden, wohin es geht – mit Rom oder gegen Rom? Denn hier kann es statt des Mitvollzugs der römischen Entscheidung auch zur Rebellion kommen (ebenso bei Pfarreien und Verbänden). Auf der Ebene jener Diözesen, die die Entscheidung nicht mitvollziehen, sondern rebellieren, stehen dann „kirchliche Strukturen“ – je nach Loyalität – gegeneinander; es könnte zu einer Art „Rivalität“ kommen, die je nach kirchlicher oder staatlicher Betrachtungsweise unterschiedlich bewertet wird. Was aus kirchlicher Sicht schismatische Abweichler sind, könnte aus staatlicher Sicht als gesamtgesellschaftlich wertvolle kirchliche Emanzipationsbewegung betrachtet werden.
  • Eine weitere Ebene darunter existiert die individuelle Ebene, wo der einzelne Gläubige und die einzelne Gemeinde gefordert sind. Altar steht gegen Altar. Gemeinden entscheiden sich, zu welcher „Kirche“ sie gehören möchten. Auf dieser Ebene wird es also noch komplexer und unübersichtlicher für den Gläubigen, der mit der Frage nach der Katholizität seiner Gemeinde überfordert sein dürfte. Der einzelne Gläubige muss eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung treffen. Viele werden keine Wahlmöglichkeit haben (siehe Diaspora, ländliche Gebiete mit nur einer Gemeinde).
  • Finanzieller Streit bricht aus: Die vollendete Spaltung vollzieht sich allerdings über Jahre hin, da es nun zu einem komplizierten Sondierungsprozess auf allen Ebenen kommt. Da die Einheit der Kirche vielfach nur noch vom Geld zusammengehalten wurde, geht es nun um das „wem gehört was“. Welche der beiden Entitäten soll den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts behalten oder neu erhalten? Laut Konkordat steht dieser Status der mit Rom verbundenen katholischen Kirche zu. Allerdings könnte die Situation zu einer Aufkündigung des Konkordats durch den deutschen Staat und einer rechtlichen Neuordnung führen. Am Ende könnten sich die Abweichler im staatskirchenrechtlich bereits gemachten Bett der Altkatholischen Kirche wiederfinden – und so an materiellen Gütern, kirchlichen Gebäuden und vom Fundus zur Entlohnung von Klerus und kirchlichen Mitarbeitern mitnehmen, was sie zum Erhalt der Struktur benötigen.

 

Das Schisma ist der Bankrott der Kirche, eine äußerste Notmaßnahme, die immerhin auch einige positive Effekte haben könnte:

  • Ein formales Schisma führt durch den sauber gezogenen Schnitt auf jeden Fall zu einer innerkirchlichen Reinigung, zur Abkehr vom Modell der Volkskirche und zur Schärfung des kirchlichen Profils beider Parteien, die nun in sichtbare Optionen zerfallen, für die man sich entscheiden muss.
  • Eine faktisch vorhandene Trennung beruht nicht auf Mutmaßung, Gerücht, Verdacht oder subjektiven Annahmen; sie wird offiziell, kirchenamtlich und damit verbindlich festgestellt. Es gibt allen Beteiligten Rechtssicherheit. Man beendet den Meinungskrieg und die Feindschaft unter den Gläubigen. Streitpunkte sind geklärt, und eine Perspektive zum konstruktiven Handeln ist vorhanden.
  • Die römisch-katholische Kirche bekommt die Chance, ihre Strukturen und Prioritäten neu zu überdenken. Sie kann die sakramentale Verfasstheit der Kirche, ihr biblisches Erbe und ihre missionarische Dynamik wieder zum Leuchten bringen.
  • Die seit Jahrzehnten dem Namen nach der katholischen Kirche angehören, sogar für sie arbeiten, sich mit ihrer Lehre aber längst nicht mehr identifizieren (also faktisch nicht katholisch sind), haben Gelegenheit, ihre Lebenslüge aufzugeben und die äußeren Umstände ihrer inneren Verfassung anzugleichen.
  • Zum Preis einer längst verlassenen Einheit, könnte es einen Wettbewerb um die Köpfe und Herzen der Menschen geben. Der „Erweis von Geist und Kraft“ (Lessing) würde das historische Urteil fällen.
  • Die klarste Situation ergibt sich, wenn sich die Spaltung über die Bischöfe ereignet. Bei ihr leiden die Priester, pastoralen Mitarbeiter und die Gläubigen am wenigsten, wenn die Entscheidung auch auf den unteren Ebenen mitvollzogen wird. Bischöfe werde ersetzt. Strukturen bleiben bestehen. Jene, die nicht mehr katholisch bleiben möchten, treten aus.
  • Das Schisma könnte (je nachdem, auf welche Weise und in welcher Geschwindigkeit die kirchliche Reorganisation abläuft) auf eine Entwertung eines nicht mehr funktionierenden territorial orientierten Pfarrprinzips Geistliche Zentren, die nicht mehr nach Territorialprinzip, sondern nach katholischem Bekenntnis funktionieren, würden Pfarrgemeinden teilweise ersetzen. Das geistliche Leben würde zwar mehr Anstrengung kosten, wäre aber möglich.
  • Die Vernetzung von Gläubigen wird entscheidend werden in einer Situation, in der lokal keine Gemeinschaft mehr möglich ist und das Internet zum Ort der Sammlung von Gläubigen wird. Das könnte sich allerdings nachteilig für jene auswirken, die keinen Anschluss an die digitale Welt und ihre sozialen Netzwerke haben, vor allem für ältere Menschen. Sie werden isoliert und es wird ihnen schwerfallen, sich auf die neue Situation einzulassen. Eine „Liquidation“ der Pastoral, die flüssiger, mobiler, präsenter werden muss, wäre das Gebot der Stunde.
  • Indem man weitreichende ekklesiologische und anthropologische Veränderungen in Lehre und Praxis in der katholischen Kirche in Deutschland als häretisch und unzulässig zurückweist, erweist Rom der Weltkirche einen Dienst; die Korrumpierung kann keine systemische Wirkung entfalten und den ganzen Leib der Kirche vergiften.

 

BEWERTUNG

Szenario 3 zerstört die Einheit der Kirche. Ein Schisma darf niemals provoziert werden. Man muss es allerdings feststellen, wenn die Einheit bereits zerbrochen ist und der Erhalt kirchlicher Identität anders nicht mehr möglich erscheint.

 


 

Fazit:

Kirchliche Einheit ist „Communio“ in Wahrheit und Liebe. Letztlich ist diese Einheit göttliches Geschenk. Dennoch ist sie uns auch anvertraut – Gabe und Auftrag zugleich. Deshalb verpflichtet sie uns, bis zuletzt, um diese Einheit zu ringen (vgl. Joh 17,21). Dennoch gibt es einen Punkt, wo eine um jeden Preis festgehaltene, nur noch äußere und äußerliche Einheit die wahre Einheit pervertiert. So kann die ultima ratio einer sauberen Trennung des Unvereinbaren das Mittel der Wahl sein, um die Kirche vor ihrer finalen Entstellung zu retten und so gerade die wirkliche Einheit in Wahrheit und Liebe zu bewahren.

Szenario 1 bleibt somit die wünschenswerteste, gleichzeitig menschlich kaum vorstellbare Lösung.
Szenario 2 wäre die für alle Beteiligten schlechteste Lösung und
Szenario 3 die bitterste, aber inhaltlich immerhin klarste Lösung.

 


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